Mehrwert durch Data Governance – Realität oder Wunschdenken?
Daten haben einen Wert. Diese Aussage dürfte unstrittig sein, stehen Daten als intangible assets und die wachsende Bedeutung dieser immateriellen Vermögensgüter doch längst im Fokus von Wissenschaft und Controlling. Das Thema Wertverlust durch schlechte Datenqualität – man denke an redundante Daten, veraltete Daten, unvollständige Daten – ist in vielen Unternehmen allgegenwärtig. Das Anliegen, die Datenqualität zu verbessern, ergibt sich zwangsläufig aus der Einsicht, dass Daten eine wertvolle Ressource sind. Ziel muss also sein, die Datenqualität zu verbessern.
Der Ausgangspunkt:
Vier Irrtümer und zwei Thesen in puncto Data Governance
Uneinheitliche Strukturen und diffuse Verantwortlichkeiten wirken sich erwiesenermaßen negativ auf die Datenqualität aus. Eine der grundlegenden Voraussetzungen für die Verbesserung der Datenqualität ist daher die Data Governance, denn sie definiert die Verantwortlichkeiten, sodass Zuständigkeiten und Rechenschaftspflichten klar sind. Data Governance schafft zudem Transparenz hinsichtlich der Informationen über Daten, fokussiert also die Metadaten.
Die Information „58452“ in einem Feld ergibt erst Sinn, wenn bekannt ist, in welchem Kontext sie zu verstehen ist. Man braucht die Metadaten für dieses Datenfeld – beispielsweise: Es handelt sich um eine Postleitzahl.
Trotzdem gehen viele Unternehmen den gedanklichen Schritt nicht, dass die Verbesserung der Datenqualität nur mit Data Governance gelingen kann. Häufig ist das Top Management der Ansicht, das Ganze sei einfach nur eine Frage der IT oder des richtigen Tools. Data Governance wird als teure, aufwendige Angelegenheit betrachtet. Typische Kundenstimmen aus der Beratungspraxis:
„Wir haben das mit Data Governance versucht – das funktioniert bei uns nicht! Viel zu aufwendig, wir kümmern uns jetzt um die Datenqualität!
„Für Data Governance ist gerade kein Budget da – wir führen SAP S/4 Hana ein und müssen Daten bereinigen.“
„Wir kommen damit nicht voran – wir machen jetzt erst mal Stammdaten und dann schauen wir weiter.“
Vier Irrtümer liegen den Aussagen zugrunde. Richtig ist:
Data Governance und (Stamm-)Datenqualität sind keineswegs verschiedene Dinge.
Die schnelle, das Budget schonende vermeintliche Lösung in Form von Datenbereinigung reicht nicht. Eine nachhaltige Lösung sieht anders aus.
Data Governance kann durchaus unkompliziert sein. Sie kann gut auf den konkreten Fall angepasst werden.
Aufwand und Kosten müssen wirklich nicht „durch Decke gehen“.
All diese Punkte sind miteinander verbunden und lassen sich auf einen Nenner bringen: Aus den bisherigen eigenen Erfahrungen im Unternehmen heraus wird dort der Mehrwert nicht gesehen. Fakt ist: Ein konkreter Return on Investment (ROI), lässt sich schwer beziffern. Heißt das, dass es den Mehrwert gar nicht gibt? Sicher nicht. Die Zweifel am Kosten-Nutzen-Faktor von Data Governance dürften eher auf die Schwierigkeiten bei der Quantifizierbarkeit des Nutzens immaterieller Wirtschaftsgüter und auf die derzeitigen Verfahrensweisen und Initiativen zur Datenqualität im Unternehmen zurückgehen. Daher zunächst ein Blick auf den Status quo.
Data Governance sollte nicht als Einschränkung oder Bürde wahrgenommen werden. Vielmehr ist sie ein Hilfsmittel zur Schaffung von Klarheit sowie gegenseitigem Verständnis, weil Abhängigkeiten und Verantwortlichkeiten besprochen, abgestimmt und dokumentiert werden (müssen).
Vincent Oefner Leiter Master Data Management bei Minimax GmbH
Drei Beispiele zum Umgang mit Datenqualitätsproblemen
Bei einem Anbieter für Telekommunikationsdienste gibt es Mängel bei Datenqualität. Stammdateninkonsistenzen bei Produktanforderungen, Lücken in der Dokumentation der Netzinfrastruktur und veraltete Kundenstammdaten führen dazu, dass Kunden bei der Durchführung einer Online-Produktverfügbarkeitsprüfung eine fehlerhafte Rückmeldung bekommen. Da viele Kunden wegen der negativen Verfügbarkeitsprüfung den Vertrag nicht abschließen, entstehen beim Unternehmen Umsatzeinbußen. Das Problem wird an die IT verwiesen.
Fehlerhafte Daten über Abmessungen und Gewicht von Shampooflaschen führen bei einem Konsumgüterhersteller zu wirtschaftlichen Schäden infolge erhöhter Kosten für die Logistik sowie für die Entsorgung beschädigter Ware. Hilfskräfte werden befristet eingestellt, um eine Datenbereinigung durchzuführen.
Eine Controllerin wertet Informationen aus einem Inter-Company-Prozess aus und möchte sich einen Überblick über Transportkosten verschaffen. Dabei fällt ihr auf, dass es hier bei den Preisen innerhalb des Konzerns zu erheblichen Abweichungen kommt. Die Mitarbeiterin ist neu im Unternehmen und hat Schwierigkeiten, sich in den Datenstrukturen zurechtzufinden. Sie vermutet aber, dass es sich um ein technisches Problem handelt und wendet sich an die IT. Hierfür muss ein Ticket eröffnet werden und ein externer IT-Dienstleister wird mit der Analyse des Problems im Geschäftsprozess beauftragt – es entstehen hohe Kosten für diese Dienstleistung. Die Analyse der IT ergibt, dass es sich um einen Fehler in den Stammdaten handelt. Am Ende hat die Mitarbeiterin viel mehr Zeit investiert als nötig und es sind unnötige externe Kosten entstanden.
Die in diesen Beispielen illustrierten und weit verbreiteten Initiativen zur Verbesserung der Datenqualität bestehen in einer schnellen Bereinigung der Daten und im Delegieren der Probleme an die IT. Die Auseinandersetzung mit den Metadaten erscheint zu aufwendig, zudem werden keine Verantwortlichkeiten und Rollen festgelegt. Mit einer Data Governance, die Rollen und Verantwortlichkeiten im Unternehmen transparent macht, könnte die beispielsweise die neue Mitarbeiterin im dritten Fall zumindest einen Ansprechpartner für den Geschäftsprozess Inter-Company ausfindig machen. Dieser wüsste aufgrund seiner fachlichen Kompetenz, wie man das Problem eingrenzen kann, und man könnte sich direkt mit der Verbesserung der Stammdatenqualität befassen.
Fazit zum Status quo:
Ist eine kritische Situation bei den operativen Daten selbst entstanden, kann sie sich auf den Geschäftsprozess auswirken. Offensichtlicher Schaden entsteht dann, wenn ein Geschäftsprozess wegen falscher Daten kollabiert. Doch möchten sich viele Unternehmen angesichts des drohenden Aufwands nicht monatelang mit der Aufnahme von Metadaten beschäftigen – obwohl dies die an der Stelle entstandenen Kosten in Zukunft verhindern könnte. Am Ende konzentriert man sich bei entsprechenden Projekten auf den Dateninhalt selbst, anstatt die Metadaten ins Auge zu fassen, welche Information über die Daten, ihre Herkunft und ihre Verwendung aufzeigen. Diese Verfahrensweise hat zur Folge, dass Beteiligte an Projekten mittel- und langfristig enttäuscht sind, weil der nachhaltige Nutzen nicht ersichtlich ist. Das Top Management sieht die Kosten in Verbindung mit unbefriedigenden Lösungen.
Data Governance hingegen ist auf langfristige, nachhaltige Lösungen ausgelegt. Sie kann Mehrwert schaffen – wenn sie richtig verstanden und in das Zentrum der Bemühungen um verbesserte Datenqualität gestellt wird.
Definition einer Data Governance, die das Kosten-Nutzen-Verhältnis verbessert
Wenn man jemanden über Data Governance reden hört, ist es schwer zu entschlüsseln, ob er wirklich von Data Governance oder von Datenmanagement oder einer mehrdeutigen Mischung aus beidem spricht.
Pete Stiglich im Perficient Health IT-Blog
Dieses Zitat stammt von Pete Stiglich im Perficient Health IT-Blog. Er liefert in Anlehnung an das DAMA Dictionary of Data Management folgende Definition:
„Data Governance ist die „Ausübung von Autorität, Kontrolle und gemeinsamer Entscheidungsfindung (Planung, Überwachung und Durchsetzung) bei der Verwaltung von Datenbeständen.“
Im Data Management Body of Knowledge sind zehn Hauptfunktionen des Datenmanagements genannt, wobei Data Governance die Kernkomponente darstellt. Sie steht im Zentrum und von daher in Verbindung mit allen anderen Komponenten wie Datenarchitekturmanagement, Datenqualitätsmanagement oder Referenz- und Stammdatenmanagement.
Die umfassende, übergeordnete Bedeutung von Data Governance macht auch eine Definition von Robert S. Seiner deutlich, der in seinem Buch „Non-Invasive Data Governance“ feststellt:
Data Governance ist die formelle Ausführung und Durchsetzung von Befugnissen für die Verwaltung von Daten und datenbezogenen Werten.
Eine Data Governance Organisation, die auf dieser Definition beruht, hat die aktuell im Unternehmen vorhandenen Business-Rollen in Data Governance Rollen überführt und legt in einer virtuellen Organisation die Entscheidungsebenen fest, auf die man bei Datenthemen zurückgreifen kann. Aus diesem entscheidenden Schritt heraus verschafft sich das Unternehmen Kontrolle über Datenangelegenheiten und Zugriff auf den tatsächlichen Nutzen.
Da die Data Governance Organisation aus dem Unternehmen selbst hervorgeht,
berücksichtigt sie die bestehenden Strukturen und die Unternehmenskultur (anstatt von außen aufgesetzt zu werden),
rückt sie die Belange des Business in den Fokus (anstatt das Problem alleine an die IT zu verweisen und eine Kluft zwischen IT und Business zu schaffen oder zu verstärken)
greift sie auf die Ressourcen zurück, die vorhanden sind (anstatt teure externe Lösungen zu suchen),
kann sie dauerhaft die Datenqualität erhöhen (anstatt mit punktuellen Projekten ein Sägezahnmuster zu produzieren).
Die Erfassung von (Mehr-)Wert der Data Governance
Dem Wert einer so verstandenen Data Governance kann man sich indirekt über zwei Faktoren nähern, und zwar über den Nutzen für die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen sowie über die Auswirkungen der Data Governance auf die Datenqualität.
Der Wert, den Data Governance hat, bemisst sich demnach zunächst einmal an dem Nutzen, den die Mitarbeiter in den Geschäftsbereichen haben. Dieser Nutzen lässt sich negativ bestimmen – über das, was derzeit nicht möglich ist, nicht funktioniert oder viel Zeit kostet. Bei Befragungen stellt sich heraus: Mitarbeiter leben tagtäglich mit Problemen im Zusammenhang mit den von ihnen definierten, gepflegten und verwendeten Daten. Was können die Mitarbeiter nicht verwirklichen, weil die Daten nicht verfügbar sind, Kenntnisse über die Daten fehlen oder die Datenqualität mangelhaft ist? Welche Schwierigkeiten sorgen dafür, dass die Mitarbeiter mehr Zeit investieren als nötig? Wie viel produktive Arbeitszeit geht verloren, weil Informationen nicht auffindbar, widersprüchlich oder falsch sind? Mit ihrer Antwort auf solche Fragen identifizieren die Geschäftsbereiche selbst den Wert von Data Governance.
Zudem wirkt sich Data Governance als Kernkomponente des Data Managements auf das Datenqualitätsmanagement aus. Die Datenqualität lässt sich nur verbessern, wenn die Informationen über die Daten, ihre Herkunft und Verwendung verlässlich und bekannt sind. Mittels Data Governance lassen sich Regeln definieren, die Aussagen über mangelnde Datenqualität zulassen.
Die Auskunfts- und Entscheidungsfähigkeit eines Unternehmens durch bessere Datenqualität erhöhen
Nach der Einführung einer Data Governance zeigt sich der Mehrwert für ein Unternehmen in erster Linie durch die bessere Auskunftsfähigkeit und somit Zeitersparnis. Nicht nur, aber besonders in aktuellen Krisensituationen ist es für das Management eines Unternehmens unbedingt erforderlich, schnell auf die „richtigen“ Informationen zurückgreifen zu können.
So müssen etwa bei M&A-Geschäften rasch verlässliche Aussagen getroffen werden und Daten in die aktuelle IT-Landschaft überführt werden. Mit einer funktionierenden Data Governance Organisation kennt ein Unternehmen sowohl seine Datenstrukturen im Detail als auch die Rollen und Verantwortlichkeiten. Die Zusammenhänge zwischen Daten und Geschäftsprozessen sind klar definiert und die neuen Geschäftsfelder können schnell und unkompliziert aufgebaut werden.
Data Governance trägt zu einem besseren Data Management bei. Es reduziert das Risiko, Unternehmensentscheidungen auf Basis von falschen oder unvollständigen Informationen zu treffen. Somit besteht der konkrete Mehrwert beispielsweise in einer nicht getätigten Investition, die später zu Verlusten geführt hätte.
Reproduktionskosten von Daten kennen/optimieren
Data Governance bezieht sich nicht nur auf Metadaten in Bezug auf Systeme und Strukturen, sondern auch auf die Prozesse, in denen die Daten genutzt werden bzw. wie die Daten produziert werden. So gehört zur Anlage eines Produktes nicht nur die Erfassung von Daten im System, sondern auch der Prozess zur Entstehung der Informationen. Jedes Unternehmen sollte den Wert seiner Daten kennen und damit auch die Kosten, die für die Entstehung der Daten anfallen. Das ist nur möglich, wenn man jeden der Prozessschritte kennt, die im Rahmen dieses Entwicklungsprozesses durchlaufen werden. Basierend auf solchen Informationen lassen sich strategische Entscheidungen ableiten – beispielsweise, ob es sich amortisieren würde, ähnliche Produkte durch Varianten und/oder unterschiedliche Konfigurationen automatisch anzulegen.
Es kostet Geld, keine Data Governance zu haben
Die zunehmende Konzentration auf Big Data und Analytik als strategisches Gut rückt die Notwendigkeit einer soliden Data Governance stärker in den Fokus von Unternehmen. Data Governance muss nicht übermäßig komplex sein, aber sie muss auf einem soliden Fundament und der Zustimmung des Managements beruhen. Während der Wert von Daten unbestritten ist und die Datenqualität schon lange auf der Agenda von Unternehmen steht, sollte sich die Einsicht, dass Data Governance und (Stamm-)Datenqualität Hand in Hand gehen, noch stärker durchsetzen.
Der Zusammenhang ist ebenso schlicht wie wahr: Schlechte Datenqualität verursacht Kosten – Data Governance verhindert Kosten durch schlechte Datenqualität.
Der Erfolg von Data Governance Initiativen bemisst sich demnach primär über den Umweg des Wertes der Daten und des Mehrwertes der hohen Datenqualität. „Data is an asset!“ Ein Unternehmen kann die Datenbasis nur nachhaltig optimieren, wenn Data Governance die dazu erforderlichen verbindlichen Informationen liefert. Der Blick auf konkrete Business Cases verdeutlicht positive Effekte von Data Governance Initiativen. Und daraus wiederum lässt sich der Mehrwert indirekt ableiten. Solche Effekte sind:
Zeitersparnis, weil Mitarbeitende nicht im Datenchaos versinken,
Prozesse laufen reibungslos, weil klare Regeln, Rollen und Verantwortlichkeiten in Bezug auf Daten bestehen,
Rechtssicherheit ist gegeben; korrekt gepflegte Metadaten gewährleisten Konformität mit der Datenschutzgrundverordnung und anderen gesetzlichen Regeln,
Inhalte werden transparent vermittelt – die IT und das Business reden nicht aneinander vorbei,
optimierte Reproduktionskosten von Daten,
schnellere und bessere Business-Entscheidungen dank valider Daten,
höhere Betriebseffizienz durch organisierte, sichere Zusammenarbeit.
Das Fazit lautet: Für alle Mitarbeitenden, die Unterstützung von einer etablierten Data Governance erhalten, wird der Mehrwert unmittelbar spürbar. Transparenz im Unternehmen und das Vertrauen in die Aussagen über Daten schaffen einen Mehrwert für jeden im Unternehmen. Ein Data Governance Programm muss dabei nicht gleich eine „Big-bang-Lösung“ sein – es reicht zunächst aus, einen Bereich zu identifizieren und eine Pilotinitiative zu starten.